Rumkommen

Reisegeschichten

Shalom!

Apr 062017

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Der 18-jährige Christoph bietet mir an, auf seinem kleinen Segelboot mit nach Jamaika zu kommen. Es handelt sich um eine 7,10m lange Hurley aus dem Jahre 1978. Damit ist er bereits von Hamburg bis Guadeloupe gesegelt. Doch zuerst stehen einige Reparaturarbeiten an: Die Scharniere der Luke sind kaputt, einer ist vor kurzem in das Bug gefahren und die Wanten und Stagen müssen entrostet werden, also muss auch der Mast runter. So sind wir noch einige Tage in der Marina beschäftigt.

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18.03.2017 - Abfahrt 12:00 von Basse Terre, Guadeloupe. Matthieu, unser Bootsnachbar, winkt uns zum Abschied. Ich kotze zwei mal über die Reling und bin den gesamten Tag für nichts zu gebrauchen. Schlafend liege ich in der Koje und versuche die Reiswaffeln im Magen zu behalten.

Am Nachmittag kündigt sich das Grauen an: unsere erste Flaute. Die kommt wohl vom Windschatten der großen Insel. Nach drei Stunden bläst wieder Wind und auch in der Nacht werden wir stetig voran getrieben. Am zweiten Tag geht es mir schon viel besser. Mir ist zwar immer noch flau im Magen, aber wenigstens findet die Verdauung nur noch von oben nach unten statt. Dann am Abend die zweite Flaute. Doch diesmal sind wir schon längst weit genug von jeglicher Insel entfernt, als dass uns der Windschatten beeinflussen könnte.

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Die Stimmung hält sich in Grenzen.

Ganz toll, es liegen noch 700 Seemeilen vor uns und die Segel scheuern sich bei dem wenigen Wind kaputt. Die nächsten Tage werden nicht besser. Ich dachte früher immer: wie paradiesisch muss es sein, in der stillen Karibischen See zu liegen, sich die Sonne auf den Pelz scheinen zu lassen, den ganzen Tag baden zu gehen und kalte Drinks zu schlürfen. Die Wahrheit auf der Shalom sieht so aus: Zwei junge Männer im Schlüpfer kloppen sich um jeglichen Schattenplatz, die Wassertemperatur erinnert eher an das Baby-Becken im Schwimmbad, es gibt keinen Kühlschrank und die Kojen - der einzige stetig schattige Platz - müffeln nach Schweiß, da man dort transpiriert wie in einer Sauna.

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Für manchen einen mag dies ein Bild puren Glücks sein, für uns war es die Hölle auf Erden.

Als es eines Abends tatsächlich mal wieder Wind von hinten gibt, sitzen wir, den heiligen Nikolaus preisend, im Cockpit mit zwei Dosen warmem Bier. In der Dunkelheit kreisen zwei Vögel ums Boot. Einer davon setzt sich erschöpft auf den Seezaun. Er kann nun endlich aufhören, panisch mit den Flügeln zu schlagen und sieht nicht gerade aus wie ein seegängiges Federvieh. Nun schippern wir zu dritt unter dem Sternenhimmel gen Westen. Alle Romantik ist am nächsten Morgen verflogen, als Christoph ein mit weißer Vogelkacke besudeltes Cockpit vorfindet. Von dem Übeltäter fehlt jede Spur.

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Undankbarer Fiesling!

Die windlosen Tage gehen nur zäh vorbei. Hatten wir am Anfang noch die 12 Stunden Dunkelheit verflucht, so wünschen wir uns jetzt sehnlichst, dass die Sonne untergeht oder sich wenigstens Wolken davor schieben. Doch sie brennt erbarmungslos 12 lange Stunden am Tag.

Man verfällt aufgrund der Hitze und der Unfähigkeit sich zu bewegen (es gibt nur 2 m² Schatten) in eine Lethargie, die Trinken, Essen, Lesen und Hörbücher hören als einzige Tätigkeiten erlaubt. Stellt euch also unsere Aufregung vor, als plötzlich drei fette Goldmakrelen um unser Boot schwimmen. Christoph holt sofort die Harpune raus und geht in Jagdstellung. Eine Ewigkeit vergeht, bis der eine Fisch sich nah genug am Boot aufhält. Ein Schuss und das Ding ist am Haken, oder besser gesagt: an einem selbstgebauten Widerhaken aus Dosenblech und Nagel. Eine Weile zappelt die Makrele an der Leine und dann reißt sie sich los. Marke Eigenbau hält nicht stand. Genauso wenig wird der Fisch leider der Verletzung standhalten. Na toll, ein Tier getötet und trotzdem nichts auf den Tellern.

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Als wir dann irgendwann so langsam sind, dass uns die entgegenkommenden Wellen wieder zurück nach Osten schieben, wundern wir uns nicht wenig darüber, dass uns zum Sonnenuntergang die am Morgen über Bord geworfene Zwiebelschale wieder auf dem Meer begegnet.

Eine Nacht allerdings kommt echter Wind auf, und zwar soviel, dass wir uns nicht schlafen legen können. Das Schiff hat mächtig Schlagseite und in der Ferne kündigt sich ein Gewitter an. Glücklicherweise bekommen wir außer dem Regen und der Gischt, die das gesamte Deck in Salzwasser tunkt, nichts ab. Jedoch wurde der Gang zum Klo um einiges erschwert. Denn ein Klo gibt es nicht ein Bord. Das Geschäft wird entweder von der Reling oder vom Bugkorb aus erledigt. Es heißt also, anzuhalten!

Allmählich tragen uns sehr seichte Winde dann endlich gen Westen. Immer wieder gibt es eine Flaute für einen halben Tag, aber wir kommen voran. Der heiße Wein geht schnell ins Blut und die Stimmung bessert sich.

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Bis Christoph mich eines Nachts weckt und bittet, mir sein Auge anzuschauen. Es ist rot und geschwollen. Und er hat keine Augensalbe an Bord. Also müssen wir Hand anlegen. Ich lege ein Streichholz auf das Lid und ziehe es an den Wimpern darüber, um zu sehen, ob sich ein Fremdkörper im Auge befindet. Das ist eine delikate Angelegenheit und mitten in der Nacht, mit Taschenlampe und Wellengang, nicht ohne Schmerzen durchführbar. Dafür sieht alles "gut" aus. Es ist nur eine kleine Entzündung, aber kein Splitter oder Ähnliches zu sehen. Nach einem Tag Schonung durch Augenklappe sieht die Sache schon besser aus.

Man glaubt es kaum, doch nach zwei Wochen sehen wir endlich Land! Mitten in der Nacht kommen wir in Port Antonio, an der Nordost-Küste Jamaikas an. Am nächsten morgen wollen wir so gerne unsere Füße vertreten, aber dazu müssen wir zunächst auf den Arzt warten, da wir noch die Quarantäne-Flagge gehisst haben und anschließend müssen wir einklarieren. Beides erfordert die Anwesenheit von Beamten, was sich auf Jamaika an einem Samstag wohl eine Weile hinziehen kann. So verbringen wir die Zeit auf dem Steg, lassen uns vom lokalen Rasta-Mann "Clive" Bananen und Mangos aufs Boot bringen und können dann am Abend endlich den langersehnten Landgang antreten!

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Ich hätte nicht gedacht, dass es so anstrengend sein kann, keinen Wind beim Segeln zu haben. Aber diese Erfahrung hat mir auch gezeigt, wie abhängig wir doch von den Launen der Natur sind und genau aus diesem Grund habe ich ja auch die Art zu Reisen gewählt. Trotzdem bin ich froh, dass wir noch angekommen sind, bevor alle Wasservorräte erschöpft waren und dass wir nun endlich wieder frisches Obst und Gemüse essen können. Tschüss Reis und Bohnen, hallo Inselleben!

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Kommentare

Vivian08 April, 2017Hey ich kenne dich nur von Joshis Seite. Bin gerade zufällig auf deinen Blog gekommen und sowohl die Bilder als auch deine Texte sind echt schön! :) Pass auf dich auf und noch viel Spaß
B+M von der SY Jolene10 April, 2017Hey Albi! Vielen dank für den spannenden Reisebericht. Ich freue mich riesig für euch, dass ihr nach anstrengender Fahrt gut angekommen seid. Geniesst den Landgang und Jamaika! Wir befinden uns nordöstlich von euch auf den Turks und wünschen alles Gute für die Weiterreise. LG B+M
Marianne10 April, 2017Hey Albi! Ein toller Bericht! Ich bin froh für euch, dass es mit Jamaica doch noch geklappt hat und bin nach dem Lesen unglaublich wohl auf der Jolene ;-). Und ich fasse es nicht, dass du seekrank wurdest ???? Liebe Grüsse, Marianne

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