Rumkommen

Reisegeschichten

Auf dem Boot von Jamaika nach Roatán

Jun 112017

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Seit vier Wochen teile ich mir den begrenzten Platz von neun Metern mit Aldo auf seinem Segelboot Still Free. Aldo kommt aus Uruguay, hat lange Zeit in Miami gelebt und sich mit 67 Jahren nun den Traum erfüllt, in der Karibik zu segeln. Er meldete sich auf meinen Aushang im Hafen, da er eine lange Überfahrt nach Panama vor sich hatte und diese ungern allein bestreiten wollte. In Port Antonio lagen wir lange Zeit vor Anker, um auf passables Wetter zu warten.

Die Bucht lag geschützt und nicht zu weit vom Stadtzentrum entfernt. Vor der Bar „Anna Banana“ konnten wir mit unserem Beiboot anlegen und das dortige Internet nutzen. Mit den anderen Booten in der Bucht haben wir eine kleine Ankerfamilie gegründet. Die beiden Brasilianer Thiago und André segeln auf der Ketsch Good Run und wollten ebenfalls nach Panama. John kommt aus den Staaten und seine Ave del mar hat die gleichen Maße wie Aldos Still Free. Die beiden sind über mehrere Wochen zusammen von den Bahamas über Haiti bis nach Jamaika gesegelt und echte „boat buddies“ geworden. Zum Schluss gesellte sich noch der in Texas lebende iranische Schwede George mit seiner Earthling zu uns, um den Skandinavenanteil der Bucht neben der schwedischen Fairwinds zu erhöhen.

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Segler aller Nationen vereinigt euch!

Zusammen haben wir fabelhafte Tage verbracht und uns blendend vom schlechten Wetter abgelenkt. In Portland regnete es im Mai quasi jeden Tag. Dazu kamen einige Stürme, sodass wir einen Morgen sogar fast an der anderen Seite der Bucht aufgewacht sind, da unser Anker dem Sturm nicht standhielt und wir in der Nacht weggetrieben wurden.

Als wir das Funkgerät einschalteten, kam sofort Johns Stimme aus dem Lautsprecher: „Hey ihr beiden! Kommt wieder zurück zu uns! Alles gut bei euch? Sagt Bescheid, wenn ihr Hilfe braucht.“ Und schon kamen Thiago und André auf ihrem Schlauchboot, ausgerüstet mit Neoprenanzug gegen das heftige Unwetter, und halfen uns beim Umparken und Entleeren des Beibootes, das mittlerweile fast untergegangen wäre. Hier wird sich eben unterstützt wie in einer richtigen Familie.

Alles, aber wirklich alles war nass. Einige Lecks im Deck des Bootes ließen sogar Wasser ins Innere durch. Irgendwann saßen wir nur noch mit einem Handtuch umhüllt und Kekse essend unter Deck. Mehr als warten konnten wir nicht.

So vertrieben wir uns die Zeit mit viel Musik und gemeinsamen Kochen. John hat vor kurzem begonnen, Ukulele zu spielen und ein gutes Repertoire an Klassikern drauf. Zusammen haben wir am Ende ein richtiges Programm einstudiert, um als Unterhaltungsduo auf den verschiedenen Booten anzuheuern.

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Fitzrasta, John, Aldo und ich nach einer der vielen Jam-Sessions bei "Anna Banana"

Es fanden auch einige Jam-Sessions zusammen mit dem Besitzer der Bar statt, der mit seinem jamaikanischen Trommeltalent die Band komplettierte. Als dann aber die Italiener auf ihr großes Segelboot Adriatica einluden, nahm die musikalische Abendgestaltung ein ganz neues Ausmaß an. Schlagzeug, Bass, Ukulele, Gitarren, Mundharmonikas und Gesänge sorgten für ordentlich Lärm im Hafen, vor allem als wir Cakes Version von „I Will Survive“ schmetterten.

Eigentlich hatten wir vor, mit zwei weiteren Booten zusammen gen Panama zu starten. Good Run und Our Joy sind um einiges größer als Still Free. Diesen beiden Booten würden die hohen Wellen und der starke Wind also nicht so viel ausmachen. Wir allerdings wollten eine angenehme Überfahrt haben und entschieden uns dazu, auf besseres Wetter zu warten. Nachdem die beiden Brasilianer von Good Run bereits aufgebrochen waren, juckte es uns doch in den Fingern.

So schlug Aldo mir kurze Zeit später ganz spontan vor, ob wir nicht nach Guatemala fahren wollen. Da mein eigentliches Ziel ja Mexiko war, brauchte ich nicht lange zu fackeln, um den Plan abzusegnen. Der Wetterbericht sah auch perfekt aus, um von Jamaika aus in den Westen zu fahren. Außerdem könnte er dort sein Boot während der Hurricane-Saison im sicheren Río Dulce lassen. Dabei handelt es sich um einen von den karibischen Stürmen geschützten See mit dutzenden von Häfen, die extra dafür ausgelegt sind, Boote für mehrere Monate zu beherbergen.

Wenige Tage vor der Abreise lernte ich Marina kennen. Sie kam auf einem Katamaran an und hatte uns Río Dulce als Ziel empfohlen. Sie ist zwar gelernte Schauspielerin, arbeitet aber nun selbständig als Vermittlerin zwischen Kapitänen und Leuten, die das Segeln als ganzheitliche Erfahrung buchen wollen. Von ihr bekam ich sogar ein kleines Jobangebot, die Internetseite mit Fotos und Interviews von den Booten ihrer „Flotte“ zu füllen. Jetzt brauche ich nur noch eine Kamera...

Der Abschied von den anderen Seglern und vor allem von John war bittersüß. Natürlich werden wir uns alle wohl irgendwann mal in diesen Meeren wiedersehen. Aber wann das sein wird, ist ungewiss. Es war eine wirklich einmalige Runde von Seereisenden in Port Antonio.

Im strömenden Regen warfen wir um 7 Uhr morgens den Motor an und lichteten den Anker. Ich war noch erkältet von dem vielen Regen und der Nässe an Bord. Dazu ein ungewohntes Boot, hohe Wellen, viel Wind und Geschaukel – natürlich dauerte es unter diesen Bedingungen nicht lange, bis mir übel wurde. Mit ein bisschen Schlaf und dem Blick zum Horizont ließ sich die Seekrankheit zum Glück in den Griff bekommen.

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Typischer Bordfraß: Dosen halten ewig.

Wir beschlossen, uns dieses Wetter nicht auch noch die ganze Nacht anzutun und steuerten am Nachmittag die wunderschöne Bucht von Oracabessa an. Hier schien auch gleich wieder die Sonne. Am nächsten Tag noch einmal dasselbe: Segeln bis zum Nachmittag, Schlafen in der halbwegs geschützten Bucht von Falmouth und am Morgen dann weiter zum letzten Ort auf Jamaika.

In Montego Bay klarierten wir aus, füllten unsere Wasservorräte auf, gingen ein letztes Mal duschen und schliefen zum letzten Mal ohne großes Geschaukel, bevor die einwöchige Reise gen Westen losgehen sollte.

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In den ersten zwei Tagen herrschte quasi kein Wind. Ich hatte schon leichte Panik geschoben, weil ich mich sofort an die elend lange Etappe mit Christoph zurückversetzt fühlte. Aber dann fiel mir ein, dass Still Free ja einen echten Motor mit genügend Treibstoff besitzt! Aldo kürte mich trotzdem zum Flautenexperten und fragte, was denn das Wichtigste in solch einer Situation sei. Ich brauchte nicht lange zu Überlegen: Geduld. Die Tage vergingen nur sehr langsam, also ließen wir uns einfach mit allem extrem viel Zeit. Zehn Minuten zum Zähne putzen, Kartoffeln in Zeitlupe schälen und viel, viel Schlaf.

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Als immerhin ein laues Lüftchen bläst, erzählt Aldo mir, dass er einen Spinnaker auf dem Boot rumliegen hat, den aber noch nie ausprobiert hat. Ich bin gleich Feuer und Flamme, denn das ist das perfekte Segel für solche Bedingungen und etwas Erfahrung beim Setzen konnte ich ja schon durch die Atlantiküberquerung mitbringen. Wie sich zeigte, reichte meine Erfahrung leider nicht aus.

Beim ersten Versuch nahm urplötzlich der Wind so dermaßen zu, dass sich das Segel komplett verhedderte und wir es direkt wieder runter nehmen mussten. Nachdem sich der Wind wieder gelegt hatte und wir alle Lehrbücher an Bord studiert hatten, wagten wir einen zweiten Versuch. Alle Schoten und Falle waren korrekt verbunden, der Spinnakerbaum bereit und das Segel ordentlich und entwirrt auf dem Vordeck platziert. Also hoch mit dem Ding! Keine zwei Sekunden später hörte ich Aldo rufen: „Nein! Er reißt!“ Der Spinnaker hatte sich an den scharfen Kanten der Positionslichter am Bugkorb aufgerissen und flatterte nun unkontrolliert umher. Irgendwie hatte ich bisher noch kein Glück mit Spinnakern, da uns auf der Jolene ja schon einer explodiert ist.

Es gab aber noch einen Plan C: Aldo hatte außerdem ein größeres Vorsegel (Genua) parat, dass wir gegen die kleine Fock austauschen konnten. Natürlich war das ein etwas riskantes Unternehmen, da man ein Segel doch lieber im ruhigen Hafenbecken wechselt. Am Abend blies dann sogar etwas Wind in die große schlanke Genua, sodass wir endlich den Motor abstellen konnten. Wir wurden sogar mit dem Besuch von Delfinen belohnt, die man bei den wenigen Wellen noch viel besser vom Bug aus beobachten konnte. Es immer wieder magisch zu sehen, wie sie mit den Bewegungen des Bootes spielen und aus dem Wasser empor springen.

Am nächsten Tag stellten wir mit Schrecken fest, wie faul wir doch geworden sind. Die ganze Nacht lang hatte die Genua geschlackert. Dieses Geräusch sollte möglichst vermieden werden, da es auf lange Zeit das Segel kaputt machen kann. Allerdings bedeutete dies für uns, wieder die kleinere Fock zu setzen, also das große Segel runter und das kleine hoch. Der Wind hatte allerdings stark zugenommen, was den Vorgang um einiges erschweren würde. So beobachteten wir stundenlang die missliche Lage, ohne uns zu rühren – gefangen in der Lethargie der Schaukelei. Endlich schafften wir es, einander zu ermutigen, dass wir das Segel auch unter diesen Bedingungen tauschen könnten.

Das war das tollste an diesem Törn. Ich fühlte mich wirklich wie ein nützliches Crewmitglied. Durch meine vorherigen Segeltrips konnte ich einiges an Erfahrung sammeln, um nun in manchen Situationen gewissenhaft meinen Senf dazugeben zu können. Wir waren ein echtes Team!

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Aldo überlegt sich, wie er den kaputten Spi-Baum ersetzen kann.

Auch die Tradition durfte nicht fehlen. Jeden 29. des Monats gibt es in Uruguay Gnocchi zum Abendsessen. Natürlich konnten wir bei dem Wellengang keine per Hand zubereiten und hatten nicht mal Fertigware an Bord. Auf dem Wasser müssen eben die Ansprüche runtergeschraubt werden. Also gab es Nudeln mit Zucchini-Tomatensoße.

Am Tag darauf erhielten wir von Aldos Tochter Carla einen Wetterbericht per Satellitentelefon. In der kommenden Nacht sollte es Böen bis zu 35 Knoten geben und die Nacht darauf ein heftiges Unwetter. Wir passten also unseren Kurs an, um die Insel Roatán anzusteuern, die nur wenige Meilen entfernt lag.

Kurz bevor es dunkel wurde, gerieten wir in den ersten Squall. Dies sind kurze, aber intensive Unwetter, in denen es heftig stürmt und regnet. Wir konnten gerade noch rechtzeitig alle Segel runter nehmen, um dem Wind keine Angriffsfläche zu bieten und uns unter Deck verkriechen, um nicht komplett durchnässt zu sein. Nach 20 Minuten war alles vorbei und ich konnte mich endlich schlafen legen. Doch keine zwei Stunden später trat der nächste Squall auf und schüttelte uns wieder ordentlich durch. Der Regen ließ zwar schnell wieder nach, der Wind blies aber weiterhin ziemlich stark. Da Aldo nun seinen Schlaf brauchte, lag ich die halbe Nacht wach und beobachtete das Wetter. Je nach Windstärke ließ ich mal mehr und mal weniger Segelfläche zu.

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Land in Sicht! Auf Roatán suchten wir Schutz vor dem großen Sturm.

Erleichtert erblickten wir am nächsten Morgen unter perfekten Segelbedingungen die Insel Roatán am Horizont. Je näher wir kamen, umso deutlicher zeichnete sich auch eine weitere Linie an der anderen Seite ab. Dort sollte es aber eigentlich gar keine Inseln geben. Natürlich nicht, denn es war bereits die kontinentale Küste Honduras! Nach acht Monaten Inselleben sehe ich endlich wieder richtiges Festland!

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